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Digitale Souveränität ist kein Luxus – sie ist staatliche Pflicht
Das Internet gehört zur kritischen Infrasttrukur wie Wasser oder Strom. Doch warum wird es von Staaten nicht genauso behandelt?

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Der Vorfall war bezeichnend: Dem Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag wurde von heute auf morgen der Zugriff auf seine Microsoft-Dienste gesperrt. Hintergrund war eine US-Sanktionsmaßnahme gegen das Gericht, das von den Vereinigten Staaten nicht anerkannt wird. Der Vorgang wirft eine grundsätzliche Frage auf, die europäische Regierungen längst beantworten müssten: Wie souverän kann ein Staat sein, dessen digitale Infrastruktur in den Händen privater US-Konzerne liegt?
Die Dimension dieses Problems ist gewaltig. Europäische Behörden, Stadtverwaltungen und staatliche Unternehmen arbeiten tagtäglich mit Diensten von Microsoft, Google, Amazon und Co. Ihre E-Mails laufen über Outlook, ihre Daten liegen in der Azure-Cloud, ihre Konferenzen finden auf Teams statt. Wer hier den Stecker zieht, bringt den Verwaltungsapparat zum Erliegen. Und genau das ist das Problem.
Der Vergleich mit physischer Infrastruktur liegt auf der Hand: Niemand käme auf die Idee, die Wasserversorgung eines Landes an einen privaten Anbieter aus einem Drittstaat zu übergeben, der sich der eigenen Rechtsprechung entzieht. Doch im Digitalen geschieht genau das. Es ist höchste Zeit, diese Sorglosigkeit zu beenden.
Digitale Souveränität bedeutet nicht, alles selbst zu bauen. Aber sie bedeutet, Kontrolle über kritische Systeme zu haben, auf denen Verwaltung, Justiz, Gesundheitswesen und Energieversorgung basieren. Im Fall Microsoft zeigt sich, wie schnell politische Interessen Einfluss auf digitale Verfügbarkeit nehmen können. Die Trump-Administration, aber auch andere politische Akteure, haben in der Vergangenheit gezeigt, wie rücksichtslos geopolitische Interessen durchgesetzt werden.
Europa hat erste Lehren gezogen. Frankreich etwa investiert massiv in den Aufbau eigener KI-Infrastrukturen. In Deutschland gibt es Pilotprojekte für Open-Source-Software in Verwaltungen. Städte wie München haben versucht, sich aus der Microsoft-Abhängigkeit zu lösen – mit begrenztem Erfolg. Es fehlt ein gesamteuropäischer Ansatz, der Open-Source, europäische Cloud-Dienste und digitale Bildung zusammendenkt.
Dabei ist die Lösung greifbar: ein europäisches Betriebssystem für öffentliche Stellen, entwickelt von einer europäischen Institution, auf Open-Source-Basis, modular, sicher und wartbar. Es braucht keine Abhängigkeit von Windows, wenn Alternativen wie Linux bestehen. Ebenso können E-Mail-Dienste, Kalender, Kollaborationstools und Datenspeicher längst mit Nextcloud, Proton, Jitsi oder Matrix abgebildet werden. Was fehlt, ist der politische Wille, diese Systeme flächendeckend einzuführen und zu betreiben.
Ein solcher Schritt wäre nicht nur ein Signal der Souveränität, sondern auch ein Jobmotor. Hunderte Entwicklerinnen und Entwickler würden gebraucht, um Systeme aufzubauen, zu pflegen und weiterzuentwickeln. Auch in wirtschaftlicher Hinsicht wäre das eine Investition in Kompetenzaufbau, Unabhängigkeit und Sicherheit.
Denn wer heute glaubt, digitale Infrastruktur sei Nebensache, hat die Realität nicht verstanden. Die digitale Dimension ist längst systemkritisch. Sie ist das Rückgrat jeder modernen Gesellschaft. Und deshalb gehört sie in öffentliche, nachvollziehbare, demokratisch legitimierte Hände – nicht in die Bilanzen von Konzernen, deren Hauptsitz tausende Kilometer entfernt liegt.
Die Zeit zu handeln ist jetzt. Europa muss die digitale Kontrolle zurückgewinnen. Nicht aus Trotz, nicht aus Protektionismus, sondern aus Verantwortung. Für die Bürgerinnen und Bürger, für die Zukunft und für die Resilienz der Demokratie in einer vernetzten Welt.
Links zum Thema
Strafgerichtshof: Microsofts E-Mail-Sperre als Weckruf für digitale Souveränität
"Wegen der Blockade des E-Mail-Kontos des Chefanklägers des Internationalen Gerichtshofs (IStGH), Karim Khan, gerät Microsoft zunehmend in die Schusslinie. US-Präsident Donald Trump sanktionierte das Den Haager Gericht im Februar, nachdem ein Gremium von IStGH-Richtern im November Haftbefehle gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu und seinen früheren Verteidigungsminister Yoav Gallant mit Blick auf Kriegsverbrechen im Gaza-Streifen erlassen hatte.”Unter Linux leidet die Produktivität
”Schwäbisch Hall ist die einzige deutsche Stadt, in der die Behörden überwiegend quelloffene Software nutzen. IT-Chef Mathias Waack berichtet im c’t-Interview allerdings von Problemen mit den Anwendungen und verlangt mehr Unterstützung von der Politik. Einen Wechsel zu Microsoft schließt er nicht völlig aus..”25.000 PCs: Schleswig-Holstein beschließt Umstieg auf Linux
”Explizit vorgesehen ist aber auch der Wechsel von Windows zu Linux. Dabei geht es um rund 25.000 PCs und etwa 30.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Der Vorstoß ist auch das Ergebnis der Regierungsvereinbarung 2017 zwischen CDU, Grünen und FDP, in welches die Grünen einen langfristigen Umstieg auf Open-Source-Lösungen hineinargumentiert hatten.”
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